Fragen Sie nicht. Das war der zweite Konferenztag

Das Tragische an Pegida ist nicht, dass es Hohlköpfe sind. Das Tragische an Pegida ist, dass es Menschen sind wie unsereins. 

Das Tragische an den Ertrinkenden ist nicht, dass es Flüchtlinge sind. Das Tragische ist, dass es Menschen sind wie unsereins.

Zweiter Konferenztag

Fazit von Anne Aschenbrenner

Am zweiten Konferenztag war Tofu und Inhalt:

Im Auftaktgespräch sprach Matthias Lilienthal (Intendant der Münchner Kammerspiele) einleitend mit Sophie Diesselhorst (nachtkritik.de) und Dirk Pilz (nachtkritik.de) über die Rolle von Politik und Theater, über Aktivismus und Christoph Schlingensief.

Amelie Deuflhard (Künstlerische Leiterin, Kampnagel Hamburg) diskutierte mit Wilfried Schulz (Intendant, Staatsschauspiel Dresden) über das Projekt mit den Lampedus Flüchtlingen (das Deuflhard schließlich eine absurde Klage eingebracht hat) und Pegida in Dresden. Cem Özdemir (Bundesvorstand Bündnis 90/Die Grünen) war leider krankheitsbedingt verhindert.

Árpád Schilling (Regisseur, Theater Krétakör) sprach über die Situtation der Kunst  in Ungarn.

Eero Epner (Leitender Dramaturg & Autor, Theater NO 99 , Tallinn/Estland) sprach mit Christian Römer (Referent Kultur und Neue Medien, Heinrich-Böll-Stiftung) über künstlerischen Aktivismus und Wahlkampfhacking im Theater in Estland.

Allen Vorträgen gemein waren die Fragen, denen sich „das Theater“ gegenwärtig stellen muss:

Ist Theater „Plattform für ästhetisch Spielarten“ oder „Player im politischen Feld“? Oder beides? Wie kann Theater politisch sein? Muss Theater sich einmischen? Ist Theater ein Sozialamt? Wie weit darf Theater gehen, wenn Randgruppen auf die Bühne gebracht werden? Was würde Schlingensief heute tun? Und wer übernimmt seine Rolle?

Welche Skills werden im Theater der Zukunft relevant? Wie sieht die Schauspielausbildung der Zukunft aus? Sind wirklich alle Theater pegida-frei? Ist ein hoher Anteil an MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund ein Gütesiegel?

Menschen bei der Staatsanwaltschaft anzeigen, weil sie Menschen helfen, warum macht man das (heute noch immer)? Flüchtlingshilfe war auch einmal positiv besetzt, wann hat sich das verändert – und warum? Und überhaupt: Flüchtlingen zu helfen, gegen Rassismus zu sein – ist das wirklich (eine) Kunst?

Es sind Fragen, die gestellt werden müssen, die diskutiert werden müssen. Fragen, vor deren Hintergrund mascheks Satiren besonders bitter schmecken: Wir haben keine Lösung legen Peter Hörmanseder und Robert Stachel, die auch heuer wieder bei Theater & Netz zu Gast waren, dem amerikanischen Präsidenten in einer Rede vor der UNO in den Mund. Und die österreichische Innenministerin lassen sie sagen: „Wir sorgen einfach dafür, dass die Flüchtlinge in kleineren Booten ertrinken. Je weniger Menschen auf einmal ertrinken, desto geringer ist die Aufmerksamkeit.“

Augen zu und durch? Kämpferisch zeigten sich bei #tn15 die Podiumsgäste:

Hängt politische Botschaften vors Haus“ (Ingo Sewilla),

Sperrig sein, die Axt auspacken – das gehört schon auch noch zur Kunst. Mehr Mut zur Konfrontation“ (Christian Rakow)

Noch sind die Theater stark. Kämpft. Stellt Fragen.“ (Wilfried Schulz)

Was soll ich euch sagen: Wir haben Tofu gegessen.

Bier minus Brezeln gleich Wein

Theater und Netz. Arbeit und Appetit. Hemmung und Häppchen. Es muss dann doch etwas zur kulinarischen Situation gesagt werden. Die Wien – Berlin Connection, die im Bloggerspace vom letzten Jahr ihre Twitterbekanntschaft in eine Real-Life-Freundschaft-zwischen-Städten umgewandelt haben, berichten.

Ein nicht-mehr-ganz-so-live-Bericht

von Berlin (Eva Biringer) und Wien (Anne Aschenbrenner) 

Berlin

Nachdem schon am ersten Konferenztag ein explizit als solches ausgewiesenes vegetarisches Mittagsessen serviert wurde, konnte das Rätsel seiner Herkunft am Sonntag geklärt werden. Für das Catering zeichnete W – Der Imbiss in der Kastanienallee verantwortlich. Was für ein Glücksfall! Dass die Enchilladas mit Tofuhack und Käse (in der veganen Version ohne) vom Samstag ein wenig trocken waren, lag vielleicht an der vorgerückten Stunde der Verkostung; so ernst nehmen wir unsere Bloggerpflicht. Pur geschmacklich neutral, verhalfen Guacamole und Sour Cream dem dazu gereichten Maisbrot zum mittelgroßen Auftritt. All das mit einer flotten Schärfe, die dem ein oder anderen zart besaiteten Bloggerauge ein Tränchen entlockte.

Weitaus raffinierter fiel der Lunch am zweiten Konferenztag aus. Gedämpfter Tofu, Blattspinat mit Feta, knackige Grüne Bohnen, Champignons und glasierte rote Zwiebeln, dazu Klebreis mit Nüssen. Konsequent wurde der nachhaltige Anspruch bis hin zum Holzgeschirr zu Ende gedacht.

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Unklarheit bestand hingegen in der Provenienzfrage des Kleingebäcks. Während beider Konferenztage sorgte die Heinrich-Böll-Stiftung für eine quasi lückenlose Keksversorgung. Donnerwetter, waren die lecker! So lecker, dass zur Lückenüberbrückung geheime Kekeslager eingerichtet wurden. Kross oder mundfüllend-weich, herb oder mit ausbalancierter Süße. Egal ob Mohn-Kokos, Nuss, Mürbeteig mit Sonnenblumenkernen oder Florentiner – jeder hatte Applaus verdient. Bravo!

Für Unmut im Oberrang sorgten hingegen die für den Konferenzausklang angesetzten Bier und Brezeln. Obgleich manch ein Blogger Punkt 17 Uhr alles stehen und liegen ließ, konnte er am Ende des ersten Konferenztages keine der begehrten Brezeln ergattern. Manch einer hielt sie für ein Gerücht. Das Bier soll geschmeckt haben und führte zu grundsätzlichen Überlegungen zu Start-up-Gründungen im Biersegment.

Beim Wein belässt man es bei je einer Sorte rot und weiß. Vor dem ersten Schluck erinnerte der 2012er Spätburgunder von Trautwein den Mittester an „Schwein“ oder, etwas subtiler, an durchwachsenen Speck, satt und mit charakteristischer Räuchernote. Allerdings hielt er dieses Versprechen nicht, war
am Gaumen schal und wenig lebhaft.

Eine bessere Wahl war der mit Demeter-Siegel zertifizierte Rivaner, ebenfalls von Trautwein. In der Nase Zitrus, mit jener frühsommerlichen Frische, nach dem sich die Stadt Anfang Mai so sehnt, mit einer Vorahnung von klarer Säure, stärker gerochen als geschmeckt. Trotz etwas fahlem Nachgeschmack wurde er auf eine banale Art gemocht, „wie Popmusik“.

Danke an Mittester Mr.B., weil zwei Zungen immer mehr schmecken als eine.

Danke an Vivino, für die lückenlöse Aufklärung über die Getränke in unserem Glas.

Danke an die Heinrich-Böll-Stiftung für die voraussschauende und herzliche Betreuung aller Bloggerbefindlichkeiten.

Danke an Musik mit allem und viel Scharf für das wunderlichste Kaffeevideo des ersten Halbjahres.

Wien

Berlin hat alles schon gesagt, was ich gesagt hätte, nur viel eleganter. Ich als Wiener Proletenkind, das noch nicht komplett hipsterisiert ist („Hilfe, ich habe glutenfrei gegessen!“) litt in erster Linie am Brezel-Mangel – es wäre das einzige, worüber ich schreiben hätte können. Die Kohlenhydrateaufnahme durch Bier allein hatte für zumindest einen von uns handfeste Folgen, da er Jacke mit Schlüssel liegen ließ und dann am Ende sonst wo übernachten muss, denn nachts schläft auch die Böll-Stiftung und Jacke mit Schlüssel holen in dem Sinn: Fehlanzeige.

Zu den Keksen vielleicht die Geschichte von Laura (#esgehtumlaura), die „zum Frühstück alles gegessen hat: Soja, Früchte, Nüsse, Honig und Kerne.“ Alles in einem Keks! Mangels Zeit – ein rezidivierendes Problem im Bloggerspace – haben wir auf den Böll-Stiftung-Keks-Werbe-Spot-Dreh leider verzichten müssen. Dafür ist uns ein neuer Slogan für die nächste Konferenz eingefallen: Böll statt Böller. Die Kalauer waren vermutlich auch… im Keks.

Um mit der Wein-App (jetzt einmal wirklich Wein, nicht Vine – die digitale Welt macht echt alles schwierig!) den Wein zu bestimmen, tunkt man übrigens nicht das Smartphone ins Weinglas, sondern scannt die Flasche. Oder so ähnlich. Sie sehen: Bloggerspace kann auch lehrreich sein.

Theaterblogs – ein Suchbild

Theaterblogs: Bei „Theater und Netz 2015“ waren sie überall: Sie hatten einen eigenen Raum, ein Live-Blog, einen Workshop ihnen, einen mit Publikum. Dazu noch Kaffee, Kekse und Drogen (Bier und Mohnkekse). Es gibt sie also, sie sehen auch gar nicht alle gleich aus, es gibt jüngere und solche kurz vor der Bloggerpension (Rente klingt so prosaisch), Journalisten und Laien, Theaterleute und solche, bei denen man es gar nicht wissen will. Selbst eine Österreicherin wurde gesichtet. Da konnte man twitternden Theatern und schreibenden Zuschauern, Blogkollektiven und vereinsamten Tasten-Egos begegnen, die, wenn sie nicht gerade nach dem albernsten Wortspiel suchten oder sich mit größter Sorgfalt um die Weinvorräte der Böll-Stiftung, sich darüber zu verständigen bemühten, was und warum sie hier eigentlich tun. So wahnsinnig weit kam man dabei nicht. Die Über-Theater-Schreiber verständigten sich immerhin darauf, dass es eine Mischung aus Liebe zum Theater und Schreibleidenschaft sei, die sie antrieb, während sich die interne Blogwelt im Spannungsfeld zwischen dem Öffnungsversuch von Theatern, die gleichzeitig die Oberhoheit über das im eigenen Namen Gebloggte behalten wollen (am Beispiel des Hamburger Thalia Theaters) und einem Festival (das Theatertreffen), das schon fast penibel die Unabhängigkeit seines jährlich wechselnden Bloggerteams betonte. Ein einheitliches Bild ergab sich in beiden Fällen nicht – vielmehr gewann der geneigte Besucher den Eindruck, hier sei noch etwas im Entstehen, das an seinem Selbstverständnis noch zu arbeiten hat.

Und vielleicht liegt genau hier, in der Nichtfassbarkeit dieser „Szene“ – auch durch sich selbst – ihr Wert, ihre Bedeutung. Denn was Hobbykritiker und Theatertreffen-Blog, bloggende Theater und Journalisten mit Nebentätigkeit eint, ist vor allem ihre Suchbewegung, das Stochern im Theater- und Sprachnebel nach Nischen, inhaltlichen wie stilistischen, nach Ausdrucksformen und theatralen Spielarten jenseits breiter Öffentlichkeit, nach einem inklusiven Diskurs, der überkommene Grenzen – hier das Theater, dort die Kritik, außen vor Leser und Zuschauer als passive Konsumenten – einreißt oder sie zumindest verschwimmen lässt, in dem das außen und Innen zunehmend undeutlich werden und jahrhundertealte Gewissheiten sich hinterfragen lassen müssen. Schön zu erleben, war das in diesem Blog: einer verwirrenden Vielfalt and Stimmen und Versuchen, die sich nicht zu einem einheitlichen Bild fügen wollten und das Experiment gerade deshalb für die Beteiligten – und den Leser? – so spannend machte. Kein Zufall, dass sich die Beiträge nicht nur immer wieder selbstreferentiell mit der eigenen Form befassten, sondern wiederholt das Scheitern, das im Ausprobieren immer mitzudenken ist, selbst thematisierten.

Vielleicht sind Theaterblogs eine schnell wieder verschwindende Marotte pseudopartizipativer und krampfhaft modern erscheinen wollender Theatermacher und selbstverliebter Narzissten mit Mitteilungskomplex. Oder sie demokratisieren einen Bereich – das Schreiben und Sprechen über diese seltsam aus der Zeit gefallene Kunstform Theater – der bei allen anderslautenden Beteuerungen  die hierarchische exklusive Einbahnstraßenkommunikation nie ganz aufgegeben hat und führen letztlich zu einer Öffnung des Diskursraumes, die in ihrer wirklichen Einbeziehung der stummen Rezipientenmasse Theater, Kritik und Publikum nachhaltig verändern wird. Vermutlich liegt die Wahrheit wie zumeist irgendwo anders – zwischen den Polen, die womöglich gar keine Spinn, oder in einer Dimension, die wir noch gar nicht zu denken in der Lage sind. Nein, wichtig ist das, was wir machen, vermutlich nicht. Und wenn doch, dann täten wir gut daran es nicht zu merken. denn es könnte unsere Fähigkeit beeinträchtigen, immer besser und schöner zu scheitern. Und was ist denn dieses komische Ding, über das wir schreiben, anderes?